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So finden die Iran-Proteste in den digitalen Leitmedien statt

Im Iran herrschen seit Mitte September die größten Proteste seit der islamischen Revolution 1979. Der Auslöser: Die Verhaftung und der anschließend gewaltsame Tod von Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei. Schnell erhielten die Proteste internationale Aufmerksamkeit – aber auch genug? Eine Analyse von Medieninsider und dem Daten-Start-up azernis zeigt auf, welche Relevanz deutsche Digital-Medien ihnen eingeräumt haben – und dass das ProSieben-Duo Joko & Klaas offenbar einen entscheidenden Teil zur Aufmerksamkeit beigetragen hat.

Die Vorgänge im Iran Mitte September dringen schnell nach Deutschland durch. Am 15. September, dem Tag der Verhaftung von Mahsa Amini, veröffentlicht Zeit Online bereits einen ersten Artikel. Die Festnahme erfolgte, weil die Frau ihr Kopftuch nicht richtig getragen hatte. Die Redaktion berichtet darüber auf Position 13 ihrer Startseite – ein Platz im unteren Mittelfeld.

Der Fall Amini löste Proteste und damit großes internationales Interesse aus, nachdem die 22-Jährige einen Tag später starb. Die iranische Polizei hatte sie zuvor ins Koma geprügelt. Am 16. September berichten in Deutschland auch Spiegel, NTV und Welt auf ihren Websites. Trotz des gewaltsamen Todes landete die Meldung auf den Positionen 13 und 18.

In den folgenden Tagen gehen im Iran insbesondere Frauen auf die Straße und protestieren gegen die strengen Regeln und Sittengesetze im Iran, vor allem hinsichtlich des Tragens des Kopftuches. Diese Proteste werden immer größer und breiten sich geographisch sowie auf weitere Bevölkerungsgruppen im Land aus. Es ist eine bemerkenswerte Protestbewegung. Der Iran unter der Führung des Mullah-Regimes gilt als ein durch Unterdrückung regiertes Land. Gegen Demonstranten wird hart vorgegangen. Wie weit das reicht, war zuletzt sogar während der Weltmeisterschaft in Katar zu sehen, wo Frauen und Männer verhaftet wurden, weil sie die „falsche Flagge“ gezeigt hatten.

In Deutschland werden schnell Stimmen laut, dass über die Proteste zu wenig berichtet würde und insbesondere Reaktionen aus der Politik ausblieben. Die Aufmerksamkeit für das Thema wäre allerdings ein erster Schritt zur Unterstützung der Protestierenden und erhöhe den Druck auf die iranische Politik.

Eine Analyse für Medieninsider zeigt nun auf, wie die Iran-Proteste in den Medien abgebildet worden sind. Für den Agenda-Setting-Monitor hat das Daten-Start-up azernis die Startseiten von elf Publishern ausgewertet. Die Daten geben Aufschluss über die Nachrichtenzyklen zu den Protesten im Iran. Sie zeigen auf, dass sie in der Berichterstattung zwar stattgefunden haben, ihr Nachrichtenwert allerdings insgesamt als gering angesehen wurde. Grundlage für die Auswertung sind die Top-20-Positionen auf der Homepage der elf überregionalen Nachrichtenseiten RND, Tagesschau, Zeit, Spiegel, FAZ, SZ, NTV, Stern, Welt, Bild und Focus.

Technisch bedingt konnten einige reichweitenstarke News-Anbieter nicht berücksichtigt werden. Mit dieser Auswahl wird allerdings ein breites Spektrum der überregionalen Berichterstattung mit großer Reichweite abgedeckt. Die Startseiten der Publisher funktionieren wie Titelseiten von Tageszeitungen. Die Platzierungen auf der Website zeigen an, was Nachrichtenanbieter für ihre Stammnutzer als relevant erachten. Themen, die weit oben auf den Nachrichtenseiten platziert werden, erhalten entsprechend mehr Aufmerksamkeit.

Gefängnisbrand und Joko und Klaas hieven Iran-Proteste in die Aufmacher

Nach der ersten Meldung dauert es insgesamt sechs Tage, bis Artikel zu den Protesten als Aufmacher auf Websites veröffentlicht werden. Am 21. September schieben der Spiegel und die FAZ ihre Artikel erstmals auf die Top-Position. Zu diesem Zeitpunkt ist das Internet im Land bereits größtenteils lahmgelegt und es dringen kaum noch Informationen nach draußen. Die Informationsblockaden sind beim Blick auf das Agenda Setting nicht zu vernachlässigen. Sie erschweren unabhängigen Medien die Berichterstattung und verlässliche Recherche. Trotzdem nimmt das Thema daraufhin nachrichtlich Fahrt auf und es werden immer mehr Artikel veröffentlicht. Der Nachrichtenzyklus hält allerdings nicht lange an. Bereits nach drei Tagen stagniert die Anzahl der Neuveröffentlichungen auf den Startseiten, in der folgenden Woche nehmen sie sogar leicht ab und die Artikel erscheinen kaum noch auf relevanten Positionen oder gar als Aufmacher.

Kaum Berichterstattung auf relevanten Positionen

Die Unterschiede zwischen den Publishern sind teilweise sehr groß, wie die folgende Grafik zeigt: Zeit Online veröffentlicht während des Untersuchungszeitraums von Mitte September bis Mitte November 157 Artikel zu diesem Thema auf seiner Startseite, zehn davon als Aufmacher. Der zweite Teil der Grafik zeigt: Damit erzielt die Redaktion im Vergleich die höchste Quote, gefolgt vom Stern. Das Portal veröffentlicht auf der Startseite zwar nur 50 Artikel, spielt das Thema aber acht Mal auf der Top-Position. Focus Online hat die Proteste bei 38 Artikeln nur zwei Mal in den Aufmacher gehoben. Bild und NTV haben 67 beziehungsweise 71 Artikel veröffentlicht, allerdings keinen davon auf der obersten Position. Die öffentlich-rechtliche Tagesschau hebt die Iran-Proteste 102 auf die Startseite, sechs Mal davon aus Aufmacher.

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Die insgesamt meisten Artikel zu den Protesten erscheinen etwa einen Monat nach der ersten Berichterstattung, am 17. Oktober. An diesem Tag gibt es erste Meldungen über Tote nach einem Brand in einem Gefängnis. Wieder Aufmerksamkeit erlangen die Proteste dann am 27. Oktober, 40 Tage nach dem Tod Aminis, als die islamische Trauerzeit endet. Am Abend zuvor sorgt zudem das Unterhaltungsduo Joko und Klaas für Sichtbarkeit, als sie ihre Sendezeit bei ProSieben den Protesten widmen und sowie ihre Instagram-Accounts an zwei Aktivistinnen aus dem Iran übergeben. Die folgende Grafik zeigt die Anzahl der Artikel, die pro Tag veröffentlicht wurden. Das Maximum waren 39 beziehungsweise 38 Artikel an einem Tag. Der zweite Teil der Grafik zeigt: Für den Aufmacher hat es bei den elf untersuchten Publishern selten gereicht.

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In den zwei Monaten des Untersuchungszeitraums sind insgesamt 54.237 Artikel innerhalb der obersten 20 Positionen auf den Startseiten der untersuchten Publisher erschienen. Gerade mal 1006 entfallen auf die Proteste im Iran. Das sind lediglich 1,8 Prozent. Zum Vergleich: Über Corona, das in der Nachrichtenwelt erheblich an Relevanz verloren hat, wird im selben Zeitraum genau so viel berichtet (1043 Artikel). Zum Top-Thema des Zeitraums, dem Krieg in der Ukraine, erschienen innerhalb der obersten 20 Positionen insgesamt 7839 Artikel. Das ist mehr als jeder siebte Artikel, während es bei den Protesten nicht mal jeder fünfzigste Artikel ist.

Hinzu kommt, dass die Proteste im Iran es beinahe nie in den Aufmacher geschafft haben. Von den 1006 Artikeln waren 43 die erste Meldung. Das sind 0,6 Prozent aller Aufmacher. Die meisten Artikel über die Iran-Proteste erscheinen auf Position 11. Den größten Anteil an der Berichterstattung je Position nimmt das Thema auf der 13. Position mit 3,4 Prozent ein. Auf diesen hinteren Positionen wechseln die Artikel seltener, sodass der Anteil an der Berichterstattung höher liegt. Die Analyse zeigt: Das Thema fällt oft hinten rüber und findet auf den Startseiten eher in der unteren Hälfte statt.

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Methodik

Für die Analyse wurden die Startseiten von elf überregionalen deutschen Online-Publishern analysiert: RND, Tagesschau, Zeit Online, Spiegel, FAZ, SZ, NTV, Stern, Welt, Bild und Focus. Im Zeitraum vom 15. September 2022 bis zum 15. November 2022 wurden die Artikel auf den obersten 20 Positionen der Webseiten untersucht.

Dieser Text erschien zuerst bei Medieninsider.com am 30.11.2022. Er ist im Original hier zu finden.

Über diesen Artikel

Geschrieben von Stefan Paulus

Publiziert am: 4/13/2023, 1:00:00 PM

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